Bekannt als Syrische Steppenraute ist Peganum Harmala eine wirkmächtige Medizinalpflanze, die viele Gemeinsamkeiten mit der schamanistischen Liane Ayahuasca aus dem Amazonasgebiet hat.

Altägyptische Gottheit Bes. Ägypten. Bildnachweis: Giorgio Samorini

Sie hat sich vom östlichen Mittelmeergebiet bis in den afrikanischen Sahel verbreitet, von Syrien bis nach Nordindien und von China bis zur Mongolei. Während des ersten Jahrtausends unserer Zeitrechnung haben dann die Araber sie in Spanien und Süditalien verbreitet. In jüngster Zeit ist sie in manche Gegenden der Vereinigten Staaten, Kanadas, Mexikos, Südafrikas und Australiens eingeführt worden und dort heimisch geworden.

Die Bes’ Pflanze

Verschiedene schriftliche Quellen verweisen auf den religiösen Gebrauch von Peganum Harmala im Vorderen Orient in vorislamischer Zeit. Die Samen und andre Teile der Pflanze wurden bei Zoroastrischen Ritualen verbrannt, um einen dichten, berauschenden Rauch zu produzieren. Dieser Gebrauch hat bis heute überlebt. Räucherung mit Harmala findet sich in den altiranischen Quellen der Gathas und wir wissen, dass auch ein Extrakt der Pflanze getrunken wurde. Die Identifikation dieser Pflanze mit dem Haoma (dem Trank der Unsterblichkeit der iranischen Mythologie) des Avesta ist vorgeschlagen worden. Harmala scheint in koptisch-ägyptischen Ritualen verwendet worden zu sein. Eine initiatorische Anrufung, datiert auf das 2. bis 3. Jh.nach Christus, bezieht sich auf einen Noub Baum, der als Harmala identifiziert wird, der die symbolisch Rolle des Lebensbaums spielt, der das Universum trägt und unter dem Osiris wohnt.

In Ägypten wird er als Bésa oder Besasa bezeichnet, diese Bezeichnung setzt Harmala in direkte Beziehung zu dem Gott Bes, einer Gottheit des pharaonischen Pantheons. Bes war vor allem ein Schutzgott der häuslichen Umgebung und Beschützer der Frauen bei der Geburt, von Neugeborenen, Kindern und Schlafenden. Er war auch der Gott der Musik und des Tanzes und wurde assoziiert mit sexuellen Freuden, freier Liebe und später mit Wein. Als Beschützer von Träume spielte er in römischer Zeit eine wichtige Rolle beim Orakel von Abydos. In ptolemäischer Zeit entstanden Inkubationsräume, „Räume des Bes” genannt, die für Heilungsrituale durch Träume benutzt wurden. Die Beziehung zu Wein ist spät und wir kennen aus dem 3. Jh. vor Christus einen Hinweis auf die Existenz von Weinbehältern, die Besiakon genannt wurden, auf denen diese Gottheit abgebildet war. Wir wissen nicht, welches Getränk aus diesen Behältern ausgeschenkt wurde, aber die Vermutung liegt nahe, dass es ein besonderes Getränk war, dem eine berauschende Ingredienz zugesetzt war, vielleicht die „Pflanze des Bes”, Harmala. Die Beziehung von Bes zu dieser Pflanze, zu Träumen, zu sexuellen Freuden, und zu Hathor, der Göttin der Liebe und des Rausches, würde diese Vermutung rechtfertigen.

Der moderne traditionelle Gebrauch der Syrischen Steppenraute

Chlorit Becher aus Jiroft, Iran.
3000 v.Chr.

In moderneren Zeiten hat Linnaeus, der Vater der Botanik, berichtet, dass in der Türkei Harmala-Samen verkauft wurden, um „einen Zustand heiterer Euphorie und großen Vergnügens” zu erzielen und heute wird in der Türkei ein Absud von Harmala-Samen zusammen mit Cannabis getrunken, dies “schaltet den Gesichtssinn aus, verstärkt die Vorstellungskraft” und soll die Wirkung anderer berauschender Substanzen verstärken — eine Tatsache, die von der modernen Pharmakologie bestätigt wird. In Ladak, in Indien, werden die Samen geröstet und pulverisiert, um ein feines Pulver zu erhalten, das Techepakchìatzen genannt wird, das gegessen oder mit Tabak geraucht wird, um Rauscheffekte zu erzielen. Die Hunza-Schamanen im nördlichen Pakistan atmen den Rauch von Harmala ein, was sie Supándur nennen, um während ihrer Trance „die Geister zu rufen“.

Auf arabischen Märkten wird das aus den Samen gewonnene Öl (zit-el-harmel) als Aphrodisiakum verkauft und ich selbst habe auf dem Kräutermarkt von Tunis einen lebhaften Handel in diesen Samen beobachtet. Seltsamerweise wurde in einem Dokumentarfilm, der kürzlich im italienischen Fernsehen gesendet wurde, berichtet, dass Harmala-Pollen in dem Heiligen Grabtuch gefunden wurden.

Als Medizinalpflanze gilt Harmala als ein echtes Allheilmittel, das für eine Vielzahl physischer und mentaler Zustände verwandt wird. Es wird weithin als Abtreibungsmittel benutzt und in geringerer Dosierung als Wehenmittel, um die Geburt zu erleichtern. Diese Eigenschaft hat wahrscheinlich in alter Zeit zu der Verbindung mit dem ägyptischen Gott Bes geführt, dem Beschützer der Geburt. Die orale Einnahme von Harmala-Samen dient auch der Verstärkung des Menstruationsflusses und der Milchproduktion. In vielen eurasischen Ländern wird es als krebsbekämpfende Substanz benutzt.

In Casablanca, Marokko, werden die Samen zur Bekämpfung der männlichen Impotenz in folgender Weise benutzt: Einige Samen werden in eine Zitrone eingeführt, die über Nacht in der warmen Asche des Herds bleibt. Am nächsten Tag wird die Zitrone ausgepresst und der Saft wird mit einem Teelöffel an drei Tagen nacheinander eingenommen.

 

X-Huasca und Globalisierung von Harmala

Gleichzeitig mit der globalen Expansion von Ayahuasca haben sich in den letzten 20 Jahren Harmala-Samen weltweit verbreitet. Die Samen werden zusammen mit anderen psychoaktiven Substanzen eingenommen, um deren Wirkung zu verstärken. Vor allem die von den Samen hervorgerufene MAO-Hemmung wird benutzt, um die Wirksamkeit von visionären Substanzen des Typus Tryptamine zu aktivieren oder zu verstärken.

Diese Globalisierung wurde befördert durch die westliche psychonautische Kultur, die seit den 90er Jahren Harmala-Samen als ein Bestandteil jener speziellen visionären Kombinationen – bekannt als Anahuasca („Ayahuasca Analoge”) – benutzt, die den Effekt von Ayahuasca nachahmen. Sie werden aus zwei pflanzlichen Quellen hergestellt, von denen die eine Beta-Carboline enthält, die andere DMT.

Der Gebrauch von Harmala wurde schrittweise auf die Kombinationen ausgeweitet, denen ich den generischen Namen X-Huasca gegeben habe, wobei der Terminus Huasca eine MAO-hemmende Substanz bezeichnet, fast immer bestehend aus Harmala und gelegentlich aus der Liane von Banisteriopsis Caapi. Eines der bekanntesten X-Huasca in Europa ist Psilohuasca (Psilocybin-Pilze + Harmala-Samen). Mit anderen Worten, Leute haben die Samen mit psychedelischen Pilzen eingenommen, um die Wirkung der Pilze zu verstärken. In Brasilien und anderen lateinamerikanischen Ländern hat sich das Juremhuasca (oder Mimohuasca) verbreitet, bestehend aus der Kombination von Mimosa Tenuiflora Rinde, bekannt als Jurema, (das das hochwirksame psychedelische Molekül DMT enthält), und den Samen von Harmala oder der Liane Banisteriopsis Caapi. Andere X-Huasca sind: Lysehuasca (LSD + Harmla), Argyhuasca (Samen der Hawaiianischen Holzrose + Harmala-Samen), Harmahuasca (Harmala-Samen + Ayahuasca Sud), Epenahuasca (Rinde von Virola + Harmala).

Die Wirkung von Harmala in diesen Kombinationen besteht nicht nur darin, die psychoaktive Substanz X zu verstärken, da in verschiedenen Fällen, wie bei der Verbindung mit Psilocybin Pilzen, eine qualitative Veränderung der Wirkung der Substanz X zu beobachten ist. Die pharmakokinetischen und pharmakodynamischen Mechanismen dieser Kombinationen sind noch nicht bekannt.
Die Pflanze des Bes (Harmala) und Jurema (Mimosa Tenuiflora) sind die wirksamsten pflanzlichen Quellen von MAO-Hemmern beziehungsweise DMT in der Welt. Die eine Gattung wächst in der Alten Welt, die andere in den Amerikas, aber die Globalisierung lässt sich durch diese geographischen Bagatellen nicht aufhalten und es ist offenkundig, „es kommt von selbst”, an eine Kombination beider zu denken. Harmala ist tatsächlich seit etwa 20 Jahren in Brasilien gelandet und ist synergistisch Teil des Erfahrungs-Magmas, das Brasilien und Lateinamerika heute darstellen, die alles vereinigen, amalgamieren, hybridisieren, was die globale und die traditionelle Welt zur Verfügung stellen. Manche sprechen von “religiösem Psychonautismus” (Grünewald), andere von “Carioca Enteogenismus” (Albuquerque), und ein gemeinsames Schlagwort in der neuen brasilianischen Suche nach Erkenntnis heißt „Experimentalismus”.

Heutzutage gibt es in Brasilien, aber auch in Mexiko, Europa und Australien Gruppen, die nur das Jurema für ihre religiöse und therapeutische Arbeit nutzen, oder das JuDaime (Jurema + Daime, d.h., Mimosa Tenuiflora + Daime/Ayahuasca), oder das Juremhuasca (Jurema + Hamal).

 

Zwischen Biochemie und Toxikologie

Syrische Steppenraute (Peganum Harmala) Samenhülse. Bildnachweis: Yuriy

Harmala ist ein echter Schmelztiegel von Ingredienzien, vor allem Beta-Carbolinen und Quinazoline Alkaloiden. In großen Mengen in den Wurzeln (1-3,7%), und in noch höherer Konzentration in den Samen (1,2-10%), die wichtigsten Beta-Carbolinen Alkaloide, gemeinsam als die Harmala Alkaloide bezeichnet, sind Harmine und Harmaline. Es ist hinlänglich bekannt, dass die gleichen Verbindungen zu den Ingredienzien von Ayahuasca gehören, wo sie die Rolle von MAO-Hemmern spielen, die die Absorption der zweiten Gruppe von Alkaloiden erlauben, die in dem Trank enthalten sind, insbesondere Dimethyltryptamine (DMT).

Die 10%ige Konzentration von Beta-Carboline Alkaloiden in den Samen von Harmala, die jüngst in wilden Pflanzen in der Gegend von Toledo, in Spanien gefunden wurde, ist eine enorme Menge und macht diese Pflanze zur wirksamsten pflanzlichen Quelle des MAO-reversiblen Hemmers. Nach durchschnittlichen Schätzungen sind die Samen von Harmala 10 Mal stärker als die Ayahuasca Liane.

Eine zweite wichtige Gruppe von Verbindungen sind Quinazoline Alkaloide, das besonders intensiv vorkommende darunter ist Vasicine. Sie sind ursächlich für die uterotone Wirkung, die den traditionellen Gebrauch bei der Erleichterung der Geburt und als Abtreibungsmittel rechtfertigen.

Manchmal kommt es zu Fällen von Vergiftung mit Harmala in traditionellem Kontext auf Grund von Überdosierung oder unzutreffenden Annahmen. Tödliche Fälle sind selten und treten vor allem bei Kindern auf, wegen der Angewohnheit, den Raum, in dem sich die Neugeborenen aufhalten zu räuchern, um sie vor bösen Geistern zu schützen. Andere häufige Vergiftungen beruhen auf Abtreibungs-Versuchen. Merkwürdig ist, dass die häufigste visuelle Halluzination bei Überdosierungen im Sehen von Flammen im Gesichtsfeld besteht. Dies ist häufig von berauschten Personen berichtet worden, die Ärzte und Zimmerwände von Erste-Hilfe-Zentren als in Flammen gehüllt wahrnahmen.

Syrische Steppenraute (Peganum Harmala) Samen. Bildnachweis: Giorgio Samorini

Krebsbekämpfende Eigenschaften von Harmala

Seit mehreren Jahrzehnten sind Beta-Carboline Alkaloide – vor allem die Harmala Alkaloide – als vielversprechende krebsbekämpfende Substanzen untersucht worden. Harmine scheint in dieser Beziehung eines der interessantesten Moleküle zu sein. Seine Eigenschaft, Apoptose („programmierten Zelltod“) in bösartigen Zellen auszulösen, ist in Laborstudien bestätigt worden und verleiht den hochgepriesenen krebsbekämpfenden Eigenschaften von Ayahuasca und Harmala Glaubwürdigkeit.

Zwei interessante Fallstudien über Krebsbekämpfung mit Peganum Harmala-Samenextrakt wurden von einem israelischen Forschungsteam beschrieben, geleitet von Ephraim Lansky. Der erste Fall betraf einen jungen 29-jährigen Mann, der an einem sehr bösartigen Hirntumor litt (Oligoastrocytom). Nach zahlreichen chirurgischen Exzisionen ohne Erfolg entschloss sich der junge Mann zu einer alternativen Therapie mit Medizinalkräutern (darunter auch Cannabisöl), einer ketogenen Diät und Harmala-Samen. Nach vier Jahren derartiger Therapien und zwei Jahren kontinuierlicher Anwendung von Harmala-Samen erreichte der Patient eine vollständige Remission des Tumors.

Im zweiten Fall wurde ein Eierstock-Karzinom bei einer 53 Jahre alten Frau auf sehr originelle Weise behandelt — nämlich indem Harmala-Samen Öl auf der Haut in Höhe des Tumors aufgetragen wurde und die transdermale Migration des aktiven Wirkstoffs, Harmin, zum Tumor hin durch infrarotes Licht unterstützt wurde. Sobald der Tumor erreicht wurde, führte das Harmin zur Apoptose der bösartigen Zellen.

Es gibt keine einfache Kur für Krebs, und wir sollten nicht erwarten, dass Peganum Harmala notwendig eine solche ist. Aber in Anbetracht der weitreichenden Geschichte ihrer Nutzung und ihrer faszinierenden Verbindung zu Heilen und spirituellem Leben haben wir sicher noch viel zu lernen von der „Glückspflanze“ des Bes.